GIGA Focus Asien
Nummer 4 | 2023 | ISSN: 1862-359X
Deutschland wendet sich zunehmend der pazifischen Inselregion zu, wie der Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock in Palau im Juli 2022 und die geplante Eröffnung einer Botschaft auf Fidschi zeigen. Doch noch fehlt eine klare Ausrichtung der deutschen Pazifikpolitik. Diese sollte sich vom Wettstreit der USA und Chinas um regionalen Einfluss abgrenzen und die Interessen der Menschen im Pazifik in den Fokus rücken.
Deutschland wird in der Klimapolitik, dem bedeutendsten Thema für die meisten pazifischen Inselstaaten, als wichtiger Partner wahrgenommen. Die deutsche Pazifikpolitik sollte die Zusammenarbeit aber nicht auf den Klimawandel beschränken, sondern einen multithematischen Ansatz verfolgen.
Mögliche Schwerpunkte, die gemeinsam mit den Inselstaaten erarbeitet werden sollten, sind etwa die Zusammenarbeit bei der Trinkwasserversorgung, dem Seetransport, der Müllentsorgung, dem Meeresschutz sowie der Stärkung der Rechte von Mädchen und Frauen.
Um gezielt auf Entwicklungen im Pazifik reagieren zu können, braucht es ein Ineinandergreifen der Außenpolitik, auswärtiger Kultur- und Wissenschaftspolitik sowie Entwicklungszusammenarbeit. Dabei sollte auch die in Deutschland bestehende wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Expertise zur Region genutzt werden.
Aufgrund der Vielzahl pazifischer Staaten ist es klug, die Kooperation mit Regionalorganisationen auszubauen. Dabei wird kein Universalansatz, sondern Sensibilität für die diversen Interessen der Inselstaaten benötigt. Die multilaterale Kooperation mit der Region sollte durch die Zusammenarbeit mit Schlüsselländern wie Fidschi, Papua-Neuguinea und Samoa ergänzt werden.
Deutschland genießt Vertrauen im Pazifik, auf das eine verstärkte Kooperation mit der Region, in Abstimmung mit ihren Partnern in und jenseits der EU, aufbauen kann. Über Klima- und Geopolitik hinaus sollte sich die Bundesrepublik auf Bereiche der Zusammenarbeit konzentrieren, welche die Vielfalt der Bedürfnisse und Interessen der Menschen und Staaten in der Region reflektieren.
Inmitten des riesigen Pazifiks liegen die Pazifischen Inselstaaten (PIS). Sie verstehen sich selbst als große ozeanische Staaten, deren ausschließliche Wirtschaftszonen (AWZ) zusammengenommen rund 20 Prozent der Erdoberfläche ausmachen. Die meisten der PIS sind stark vom Klimawandel betroffen und einige von ihnen haben über die Jahre eine führende Rolle in der globalen Klimadiplomatie eingenommen (Carter 2020; Theys 2021). Alle 14 unabhängigen Inselstaaten, zwei weitere Territorien sowie Australien und Neuseeland kommen in der führenden Regionalorganisation Pacific Islands Forum (PIF) zusammen.
Die PIS werden geeint durch geteilte Interessen etwa in der Klimapolitik sowie gemeinsame Herausforderungen, insbesondere die Folgen ihrer Insellage und der Abgelegenheit von globalen Märkten. Nichtsdestotrotz handelt es sich um eine kulturell, politisch und gesellschaftlich komplexe, sehr diverse Weltregion. Die Bevölkerungszahlen der Staaten reichen von mindestens 9,3 Millionen im Fall von Papua-Neuguinea (PNG) bis hin zu rund 12.000 auf Nauru und nur rund 1.500 auf Niue (Tabelle 1). Mit etwa 900.000 Einwohnern bildet bereits Fidschi ein regionales Schwergewicht und gilt, angesichts seiner geografischen Mittellage und der Präsenz zahlreicher regionaler und internationaler Organisationen, als Drehscheibe in der Region.
Die Pazifische Inselregion (PIR) lässt sich in die Unterregionen Mikronesien (griechisch: „kleine Inseln“), Melanesien („schwarze Inseln“, so bezeichnet nach der dunkleren Hautfarbe der dortigen Bevölkerung) und Polynesien („viele Inseln“) unterscheiden – eine Aufteilung, die im Jahr 1831 erstmals von Jules Dumont d’Urville vorgeschlagen wurde (siehe Karte 1). Als koloniales Konstrukt, aber auch aufgrund von Ungereimtheiten bei der Zuordnung einzelner Inseln, ist diese Dreiteilung durchaus kritisch zu sehen, spielt aber bis heute auch politisch eine wichtige Rolle. Die PIS zählen zu den jüngsten Staaten der Welt und wurden erst zwischen den Jahren 1962 und 1994 unabhängig – ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Die Vereinten Nationen (VN) führen auf ihrer Liste der „Non-Self-Governing Territories“ die französischen Überseegebiete Französisch-Polynesien und Neukaledonien, wo sich in jüngerer Zeit wieder eine ethnisch fundierte Unabhängigkeitsbewegung formiert hat, Amerikanisch-Samoa und das vom US-Militär genutzte Guam sowie die Pitcairninseln (britisch) und Tokelau (neuseeländisch).
Während die französischen Überseegebiete sowie die mit Neuseeland assoziierten Staaten über höhere Pro-Kopf-Einkommen verfügen, liegt dieses anderswo in der Region deutlich niedriger. Laut VN gehören Kiribati, die Salomonen und Tuvalu zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt, bis vor wenigen Jahren waren auch noch Samoa und Vanuatu Teil dieser Gruppe. Nicht von ungefähr gilt Ozeanien als die Weltregion, die pro Kopf am stärksten von Entwicklungszusammenarbeit (EZ) abhängig ist. Wichtigste EZ-Partner der Region sind, in Bezug auf die bislang getätigten Schenkungen und Kredite, Australien, gefolgt in weitem Abstand von China, Neuseeland, den USA, der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) und der EU.
Neben dem Klimawandel als größter sicherheitsbezogener Bedrohung, der sich die Region gegenübersieht, stehen die meisten PIS vor einer Fülle sozioökonomischer Herausforderungen. Diese reichen von Armut und Arbeitslosigkeit (inkl. hoher Jugendarbeitslosigkeit) über rudimentäre Gesundheitssysteme und infrastrukturelle Engpässe (Strom, Straßen, Telekommunikation, Zugang zu Trinkwasser) bis zur Benachteiligung von Frauen und Kindern (einschließlich des Problems häuslicher Gewalt). Während einzelne Inselstaaten über reiche Fischbestände und teilweise (wie in PNG, den Salomonen oder Neukaledonien) auch über Rohstoffvorkommen verfügen, bildet für Staaten wie Samoa oder Palau der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle. Umso heftiger sind diese Staaten von der COVID-19-Pandemie betroffen gewesen. Einige der PIS verfügen außerdem über mineralische Vorkommen am Meeresboden (vgl. Kaiku 2022), wobei Tiefseebergbau in der Region sehr umstritten ist und die pazifische Zivilgesellschaft sich auch international deutlich gegen Tiefseebergbau positioniert.
Einige der PIS sind über Assoziierungen eng verbunden mit den USA – so die mikronesischen Marshallinseln, die Föderierten Staaten von Mikronesien (FSM) und Palau – oder mit Neuseeland wie im Fall der polynesischen Cookinseln und Niue. In Bezug auf Letztere geht die freie Assoziierung so weit, dass beide Staaten keine eigenständigen VN-Mitglieder sind – wohl aber VN-Sonderorganisationen wie der UNESCO angehören oder als eigenständige Parteien bei den VN-Klimakonferenzen verhandeln – und ihre Bürger auch die neuseeländische Staatsangehörigkeit besitzen. Mit Ausnahme der US-assoziierten Staaten unterhalten alle PIS traditionell enge Beziehungen zu Australien oder Neuseeland, die in den letzten zwei Jahrzehnten jedoch zunehmend kritisch betrachtet worden sind.
Nachdem die PIR nach dem Kalten Krieg aus dem Visier der USA geraten war und auch Australien und Neuseeland ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf andere Weltregionen lenkten, ist in den letzten Jahren der geostrategische Wettbewerb um die Region neu entbrannt. Aufgeschreckt durch das deutlich gewachsene diplomatische und wirtschaftliche Engagement Chinas in dem Gebiet, haben Australien, Neuseeland und jüngst die USA ihre diplomatische Präsenz in sowie die EZ an die PIR aufgestockt und die hochrangige Besuchsdiplomatie deutlich intensiviert (Köllner 2021b). Vier der verbleibenden zwölf diplomatischen Verbündeten Taiwans liegen in der PIR: die Marshallinseln, Nauru, Palau und Tuvalu. Zuletzt hatten im Jahr 2019 die Salomonen und Kiribati mit Taiwan gebrochen und die Volksrepublik China anerkannt.
Neben den traditionellen Partnern und China engagieren sich eine Reihe weiterer Staaten schon seit Jahrzehnten im Pazifik, insbesondere Japan. In den letzten Jahren sind Länder wie Südkorea oder einzelne Golfstaaten hinzugekommen. Schließlich haben auch Deutschland und die EU im Kontext ihrer Strategien zum Indo-Pazifik die PIR wieder mehr im Blick, während sich Frankreich angesichts seiner dortigen Territorien und der damit verbundenen militärischen Präsenz ohnehin als pazifische Macht begreift. Im Folgenden gehen wir näher auf die deutsche Neuentdeckung des Pazifiks ein und nehmen eine Bestandsaufnahme der Verbindungen mit der Region vor, bevor wir Vorschläge zu möglichen Schwerpunkten dortigen Engagements machen.
Abgesehen von Port Moresby (PNG) in den 1980er- und 1990er-Jahren hat die Bundesrepublik in der Region bisher keine Botschaft unterhalten. Stattdessen hat Deutschland die Beziehungen zu den PIS von Australien, Neuseeland, den Philippinen und zeitweise auch aus Singapur heraus gepflegt. In jüngerer Zeit ist die Region wieder stärker auf dem Radar der deutschen Außenpolitik. Dies hat seinen organisatorischen Ausdruck in der personellen Stärkung des zuständigen Referats im Auswärtigen Amt (AA) und im Jahr 2022 in der Ernennung einer Sonderbotschafterin für die PIR gefunden. In der zweiten Jahreshälfte 2023 wird in der fidschianischen Hauptstadt Suva eine Botschaft eröffnet, die für die Beziehungen zu Fidschi und weiteren Inselstaaten sowie zu regionalen Organisationen im Pazifik zuständig sein wird. Bereits im September 2022 trat Deutschland den Partners in the Blue Pacific bei, einer Gruppe von gleichgesinnten Staaten unter Führung der USA, welche die Beziehungen zur PIR stärken wollen. Der Gruppe gehören auch die PIF-Mitglieder Australien und Neuseeland sowie die PIF-Dialogpartner Großbritannien, Japan und Kanada an (U.S. Department of State 2022). Die informelle Gruppierung bietet die Möglichkeit zur besseren Koordination der Gruppenmitglieder untereinander, aber auch die Gefahr, dass die PIS in den Dialog zur Zukunft ihrer eigenen Region unzureichend eingebunden werden.
Seit dem Jahr 2016 – und damit später als andere europäische Staaten – ist Deutschland Dialogpartner des PIF, der zentralen regionalen Organisation mit dezidiert politischem Charakter. Im Bundestag existiert eine Deutsch-Pazifische Parlamentariergruppe. Lange Zeit wurde die deutsche Zusammenarbeit mit der PIR auch und gerade von zivilgesellschaftlichen Akteuren vorangetrieben. So unterhalten kirchliche Werke und Hilfsorganisationen seit vielen Jahrzehnten enge Verbindungen in die vornehmlich christlich geprägte PIR, und es gibt beispielsweise eine Zusammenarbeit zwischen der Pacific Conference of Churches und Organisationen wie Brot für die Welt oder Misereor. Im Jahr 1988 schlossen sich Gruppen aus ganz Deutschland im Pazifik-Netzwerk zusammen, dessen Aufgabe darin besteht, die politische, wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Situation der pazifischen Inselstaaten einer breiten Öffentlichkeit im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen. Gemeinsam mit kirchlichen Werken wurde von dem Netzwerk eine Pazifik-Informationsstelle gegründet, später auch der sogenannte Ozeanien-Dialog, welcher den Dialog zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren aus der PIR und der deutschen Politik stärken soll (Pazifik-Informationsstelle o.J.).
Mit der PIR setzen sich auch außeruniversitäre Forschungsinstitute wie das Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) und das Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA) auseinander. Forschungsprojekte mit Pazifikbezug unterstützt die Stiftung Okeanos – Stiftung für das Meer. Das deutsche Forschungsschiff (FS) Sonne, das zu Klimawandel, marinen Rohstoffen und den Folgen von Eingriffen in marine Ökosysteme forscht, ist mehrmals im Südpazifik unterwegs gewesen. Unter den politischen Stiftungen ist die Konrad-Adenauer-Stiftung mit Aktivitäten in der PIR präsent, die von ihrem Regionalprogramm Australien und Pazifik mit Sitz in Canberra organisiert werden. Und während es zuletzt an TV-Reportagen aus der Region mangelte, hat im Hörfunkbereich das ARD-Studio Tokio seit dem Jahr 2022 eine Reihe von Reportagen zu geopolitischen, gesellschaftlichen und umweltbezogenen Themen produziert (siehe jüngst Erdmann und Zantow 2023).
Die politische Neuentdeckung der PIR kann im Kontext der Indo-Pazifik-Leitlinien verortet werden, mit der die Bundesrepublik im Jahr 2020 auf die Entwicklung des Indo-Pazifiks hin zu einem geostrategischen und wirtschaftlichen Gravitationszentrum der Welt reagierte. Die deutsche Konzeption des Indo-Pazifiks schließt dabei die PIR mit ein, die auch prominent im zweiten Fortschrittsbericht des AA zum Indo-Pazifik genannt wird (Auswärtiges Amt 2022b). Beigetragen zur Neuentdeckung der PIR hat zudem, dass Außenministerin Baerbock der Klimaaußenpolitik einen besonderen Stellenwert einräumt. Im Juli 2022 besuchte mit ihr zum ersten Mal ein deutscher Außenamtschef die PIR. Baerbock hielt auf Palau eine Rede zu Klima und Sicherheit, in der sie unter anderem versprach, den
blauen Kontinent dabei [zu] unterstützen, die Auswirkungen der Krise auf [das Leben der Menschen dort] zu minimieren und [zu] helfen, die bereits entstandenen und stellenweise unwiderruflichen Schäden zu bewältigen. (Auswärtiges Amt 2022a)
Insgesamt hat sich die Zusammenarbeit Deutschlands mit der PIR bisher vor allem auf die Klimapolitik fokussiert. In vielen der PIS wird die wichtige Rolle Deutschlands bei der Aufnahme des für die Inselstaaten bedeutenden Ziels einer Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5°C in das Pariser Klimaabkommen anerkannt. Bereits im Jahr 2017 unterstützte die Bundesregierung Fidschi bei dessen Präsidentschaft der Klimakonferenz COP 23, die in Bonn stattfand (Hasenkamp und Worliczek 2018). Im Jahr 2018 wurde ein informeller Freundeskreis Klima und Sicherheit unter dem Ko-Vorsitz von Deutschland und Nauru eingerichtet, und bei der Klimakonferenz COP 27 in Sharm el-Sheikh im November 2022 setzte sich die Bunderegierung mit anderen erfolgreich dafür ein, einen Fonds für den Ausgleich von klimabedingten Verlusten und Schäden in besonders betroffenen Ländern einzurichten. Die verstärkte klimabezogene Zusammenarbeit lässt sich auf die Internationale Klimaschutzinitiative der Bundesregierung zurückverfolgen, die im Jahr 2008 aus der Taufe gehoben wurde.
Auch in anderen Bereichen kann die Zusammenarbeit Deutschlands mit der PIR auf bestehende Verflechtungen und Verbindungen aufbauen – oder muss sich kritisch mit diesen auseinandersetzen. Hierzu gehört die rund 20-jährige deutsche Kolonialgeschichte in der Region. Zwischen den Jahren 1884 und 1914 (de facto) bzw. 1919 (de jure) war das Deutsche Reich Kolonialmacht im nördlichen Teil von PNG und dort vorgelagerten Inseln. Zu den deutschen Kolonien gehörten auch die nördlichen Salomonen, die Marshallinseln und Nauru. Hinzu kamen im Jahr 1899 die Karolinen (heute zu den Föderierten Staaten von Mikronesien und Palau gehörend), die nördlichen Marianen (heute ein autonomes Territorium unter US-Verwaltung) und Palau. Zusammen bildeten diese Gebiete ab dem Jahr 1899 Deutsch-Neuguinea. Außerdem wurde ab dem Jahr 1900 der westliche Teil von Samoa als ein „Schutzgebiet“ verwaltet.
In der PIR wird die deutsche Kolonialzeit nicht in dem Maße als Hypothek für die heutigen Beziehungen wahrgenommen, wie dies in anderen Weltregionen der Fall ist. Sehr wohl kritisch gesehen wird jedoch, dass sich Deutschland trotz der kolonialen Vergangenheit jahrzehntelang wenig für die PIS interessiert hat. Dies zeigt sich etwa daran, dass Deutschland anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Unabhängigkeit von Samoa im Jahr 2012 nur durch einen Bundestagsabgeordneten repräsentiert wurde. Für die bisher sehr begrenzte auswärtige Kulturpolitik gegenüber der PIR bietet dies in jedem Fall Anknüpfungspunkte. Dabei nehmen auch deutsche Museen mit umfangreichen und aus heutiger Sicht teilweise problematischen Sammlungen ozeanischer Kulturgegenstände eine wichtige Rolle ein.
Mit Blick auf Handel und Direktinvestitionen ist die PIR nur von marginaler Bedeutung für Deutschland. So tauchen im Jahr 2022 in der Rangfolge der deutschen Handelspartner erst an 101. Stelle die Marshallinseln mit 587 Mio. EUR auf, gefolgt von PNG auf Platz 121 mit 238 Mio. EUR. Jenseits von Neukaledonien, Französisch-Polynesien und Fidschi geht es nur noch um Handelsumsätze im einstelligen Millionenbereich (Statistisches Bundesamt 2023). Indes bieten insbesondere klimabezogene und Infrastrukturprojekte, finanziert unter anderem von der ADB und der Weltbank, interessante Möglichkeiten für deutsche Unternehmen. Hamburger Reedereien haben zudem jahrzehntelang an der Ausbildung zahlreicher Seeleute am Marine Training Centre in Tarawa mitgewirkt und zum Lebensunterhalt von deren Familien beigetragen.
Durchaus beachtlich ist die deutsche EZ mit der Region. Zwar ist keiner der PIS BMZ-Partnerland und damit Adressat klassischer EZ, doch arbeiteten bereits seit dem Jahr 1977 die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und deren Vorgänger in der Region. Einen Schwerpunkt in den vergangenen Jahren stellen Projekte im Auftrag des BMZ, des Bundesumweltministeriums und der EU dar, welche Staaten, Regionalorganisationen und Zivilgesellschaften in der PIR bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützen. Andere Projekte zielen auf die Bewahrung der Meeresbiodiversität und die Reduktion des Emissionsausstoßes des lokalen Schiffverkehrs oder beschäftigen sich mit klimabedingter Migration und Umsiedlung (GIZ 2022).
Trotz seiner in den letzten Jahrzehnten eher geringen Präsenz in Ozeanien genießt Deutschland in der Region relativ großes Vertrauen. Dies liegt darin begründet, dass viele der Inselstaaten etwa mit Blick auf völkerrechtliche Belange Deutschland als Verbündeten sehen und das Land als wichtigen Unterstützer in der Klimapolitik wahrnehmen. Anders als die Großmächte USA und China, die Regionalmächte Australien und Neuseeland sowie Frankreich steht die Bundesrepublik nicht im Verdacht, dass es ihr um die Schaffung oder den Erhalt regionaler Einflusssphären geht. Hierauf sollte Deutschland aufbauen und den Vertrauensvorschuss nutzen, um die Bedürfnisse der Menschen in der PIR in den Fokus einer intensiveren Zusammenarbeit zu stellen, anstatt sich in den geopolitischen Machtstreit um die Region einspannen zu lassen.
Eine diplomatische Präsenz in der Region ermöglicht es der Bundesrepublik, persönliche Beziehungen, die auch und gerade in der PIR von großer Bedeutung sind, zu pflegen und ein größeres Verständnis für die besonderen Merkmale und Herausforderungen dieser großen und diversen Weltregion zu entwickeln. Dabei sollten politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger auf vorhandene Expertise in deutschen Forschungseinrichtungen sowie in kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zurückgreifen. Eine diplomatische Präsenz unterstreicht das Interesse an einem langfristigen Engagement und schafft dafür infrastrukturelle Voraussetzungen. Hier wird es wichtig sein, das Konzept der Klimaaußenpolitik, das entscheidende Bedeutung für die weitere Zusammenarbeit mit der PIR besitzt, weiter zu konkretisieren. Für die PIS ist es wichtig, in der Klimapolitik auch weiterhin als partnerschaftliche Akteure wahrgenommen zu werden, die internationale Politik aktiv mitgestalten, wie jüngst etwa durch die von Deutschland unterstützte Initiative für ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs zum Klimawandel. Vermieden werden sollte hingegen ein Bild, das die Inselstaaten als bloße Opfer des Klimawandels betrachtet. In diesem Zusammenhang muss sehr klar sein, dass die deutsche Klimaaußenpolitik sich für die Bedürfnisse besonders vom Klimawandel betroffener Staaten wie der PIS einsetzt – und nicht andersherum diese Länder als Projektionsfläche für das deutsche Projekt „Klimaaußenpolitik“ dienen. Wichtig ist auch, die vielfältigen Folgen des Klimawandels im Pazifik anzuerkennen – auch jenseits des Meeresspiegelanstiegs, der häufig im Vordergrund medialer Betrachtung steht.
Für eine strategische Ausrichtung der deutschen Pazifikpolitik ist es indes unerlässlich, die Zusammenarbeit nicht auf das Thema Klimawandel zu verengen, sondern einen multithematischen Ansatz zu verfolgen, der sich an den Bedarfen der Region orientiert. Ansatzpunkte für die Bestimmung von Schwerpunktthemen bietet ein im Jahr 2022 veröffentlichtes Strategiedokument der PIS, die „2050 Strategy for the Blue Continent“ (Pacific Islands Forum 2022). Die folgenden Themen lassen sich an dieses Dokument anknüpfen:
Insbesondere auf den kleineren Atollstaaten, die vor dem Problem der Versalzung der geringen Süßwasservorräte durch Überschwemmungen stehen, stellt die Trinkwasserversorgung eine der größten Herausforderungen dar. Deutschland kann mit seinem technischen Know-how beim Aufbau langfristiger Lösungen unterstützen, die die Resilienz der Inselstaaten gegenüber dem Klimawandel stärken.
Der Verkehr zwischen den oft weit voneinander entfernten Inseln stellt seit jeher eine große Herausforderung dar. Aufgrund des Klimawandels, aber auch aufgrund der hohen Kosten, entscheiden sich immer mehr Inselstaaten gegen die Anbindung weiterer Inseln ans Flugnetz. Stattdessen suchen sie nach nachhaltigeren Lösungen im Seetransport, die sie bei Reisen sowie bei der Versorgung der Inseln mit wichtigen Gütern unabhängiger von seltenen Stopps vorbeifahrender Handelsschiffe machen und gleichzeitig die Kapazitäten für den Export von Gütern steigern.
In kaum einem PIS gibt es eine funktionierende Müllentsorgung – ein Problem sowohl für die Umwelt an Land und im Meer als auch für die Gesundheit und die Lebensbedingungen der Menschen. Gerade auf den kleineren Inseln nehmen die Müllhalden erschreckend große Teile der Landflächen ein. Hier werden nachhaltige Lösungen für die Verminderung von Müll, für Recycling und Müllentsorgung benötigt.
Das Wohlergehen der Menschen im Pazifik ist stark vom Meer als Lebensgrundlage und als wichtigem Pfeiler ihrer Kultur abhängig. Deutschland kann mit seiner Expertise und seinen Forschungsinstitutionen einen Beitrag zum Meeresschutz und zu nachhaltiger Fischerei im Pazifik leisten, gleichzeitig aber auch von indigenem Wissen im Pazifik und von den erfolgreichen Erfahrungen im regionalen Fischereimanagement unter dem Nauru Agreement profitieren.
In Anbetracht der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik, die Deutschland verfolgt, gilt es auch im Pazifik, insbesondere die Rechte von Frauen und Mädchen zu stärken. Studien zufolge erleben weit mehr als die Hälfte der Frauen in vielen Ländern wie PNG sexuelle Gewalt. In fast keiner anderen Weltregion ist der Anteil an Frauen in Politik und Parlamenten so niedrig wie in der PIR.
Bei der deutschen Kooperation mit der PIR gilt es, einen abgestimmten Ansatz zu verfolgen, der sicherstellt, dass die Bemühungen von AA, BMZ, Umwelt- und anderen Ministerien ineinandergreifen. Dies erfordert auch, erneut zu diskutieren, ob das Fehlen der PIS in der Liste der BMZ-Partnerländer mit den Bemühungen Deutschlands um engere Beziehungen zur PIR im Einklang steht. Ausbaufähig sind außerdem die Aktivitäten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, dessen zahlreiche Programme prinzipiell auch für den Austausch mit den PIS offenstehen. Selbiges gilt für auswärtige Kulturpolitik mit ihrer Mittlerorganisation Goethe-Institut, die auch für die PIR zuständig ist.
Aufgrund der großen Anzahl der Staaten in der PIR ist es sinnvoll, die deutsche Zusammenarbeit mit Regionalorganisationen im Pazifik auszubauen. Dies ermöglicht es Deutschland auf vergleichsweise unkompliziertem Weg mit allen Inselstaaten der Region in regelmäßigem Austausch zu stehen. Schwerpunktmäßig sollte sich Deutschland dem PIF als der zentralen regionalen Organisation widmen. Das PIF bietet eine Grundlage für die deutsche Zusammenarbeit mit der Region auch bei Fragen, die nur multilateral erfolgreich angegangen werden können. Dies schließt rechtliche Fragen ein, wie sich zum Beispiel der Anstieg des Meeresspiegels auf bestehende AWZ und längerfristig auf die staatliche Verfasstheit einzelner pazifischer Inselstaaten auswirken wird. Deutschland sollte hierbei die Positionen der Staaten in der Region unterstützen. Das PIF ist allerdings nicht frei von internen Spannungen; erst im Februar 2023 konnte mit der Rückkehr von Kiribati der angekündigte Austritt der mikronesischen Staaten aus dem PIF (Hasenkamp 2021; Köllner 2021a) vollständig rückgängig gemacht werden.
Die Forumstreffen und die Dialoge in ihrem Nachgang bieten die Gelegenheit, künftig durch hochrangige deutsche Beteiligung das Interesse der Bundesrepublik am Pazifik zu unterstreichen und gleichzeitig die im Pazifik so wichtige Möglichkeit des intensiven zwischenmenschlichen Austauschs zu nutzen. Der Besuch von Außenministerin Baerbock auf Palau war in dieser Hinsicht ein historischer Schritt. Gleichzeitig zeigt dieser Besuch exemplarisch die Herausforderungen einer Intensivierung der Beziehungen mit der komplexen Region auf. Da weniger als zwei Tage nach dem Besuch von Baerbock das erste Präsenztreffen der Staats- und Regierungschefs seit Beginn der Pandemie und des angedrohten „Micronexits“ stattfand, ist die regionale Wahrnehmung des Besuchs jenseits von Palau weitgehend verpufft. Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, regionale Entwicklungen genau zu verfolgen und zu analysieren, um die eigene Interaktion mit der PIR möglichst effektiv zu gestalten.
Zusätzlich sollte Deutschland ein besonderes Augenmerk auf eher technisch orientierte Regionalorganisationen legen, wie etwa die Pacific Community (SPC), mit der sowohl die GIZ als auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) kooperieren, oder das Sekretariat des Pacific Regional Environment Programme (SPREP). Bei der regionalen Zusammenarbeit mit dem Pazifik ist zu beachten, dass die geografischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten wie auch die Interessen der PIS sich durchaus stark unterscheiden. Anstatt eines Universalansatzes gegenüber allen PIS braucht es Sensibilität für die unterschiedlichen Bedürfnisse, aber auch kulturellen Hintergründe in der PIR. Multilaterale Kooperation mit der Region sollte daher durch bilaterale Zusammenarbeit mit Schlüsselländern wie Fidschi, PNG und Samoa ergänzt werden. Nicht alle bilateralen Beziehungen werden dabei durch die geplante kleine Botschaft in Suva abgedeckt werden können. Es ist daher zu prüfen, inwieweit extraregionale Zuständigkeiten, etwa von Canberra aus für PNG oder von Wellington aus für Samoa, erhalten oder neu geordnet werden sollten.
Deutschland genießt Vertrauen im Pazifik, nicht zuletzt aufgrund seiner jahrelangen Unterstützung der PIS in der Klimapolitik. Darauf kann Deutschland aufbauen. Es sollte vermeiden, sich in den geopolitischen Kampf um Einfluss im Pazifik einspannen zu lassen. Es sollte vielmehr die Bedürfnisse der Menschen in der Region in den Fokus rücken und gemeinsam mit Politik und Zivilgesellschaft im Pazifik Prioritäten für eine intensivierte Zusammenarbeit erarbeiten. So kann ein verstärktes deutsches Engagement in der Region zu einer nachhaltigen Entwicklung der PIR beitragen. Dabei sollte Deutschland bei der Zusammenarbeit mit den PIS die Klimapolitik weiter in den Mittelpunkt stellen, die Zusammenarbeit aber nicht auf dieses Thema begrenzen, sondern sich stärker auch weiteren regionalen und teils mit dem Klimawandel verbundenen Herausforderungen öffnen. Dafür ist es wichtig, die Inselstaaten und ihre unterschiedlichen Herausforderungen in ihrer Vielfalt und mit ihren kulturellen Gegebenheiten wahrzunehmen. Damit dies gelingen kann, braucht es ein kluges Ineinandergreifen von Aktivitäten, welche einerseits die gesamte Region in den Blick nehmen und die fragile regionale Zusammenarbeit stärken, und andererseits nationale Besonderheiten berücksichtigen. Das erfordert auch eine Intensivierung des Austauschs in Deutschland zwischen politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern einerseits und wissenschaftlichen sowie zivilgesellschaftlichen Akteuren mit Pazifik-Expertise andererseits sowie eine Abstimmung mit den Partnern in und jenseits der EU.
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